Woran häng’ ich mein Herz?


Arlette Schnyder



Die Schwestern der Kommunität Diakonissenhaus Riehen haben sich für ein Leben in Anspruchslosigkeit und in Gemeinschaft entschieden. Die zur Kommunität gehörenden Institutionen bilden einen wichtigen Bestandteil des Dorfes und prägen dieses seit vielen Jahrzehnten. Die Schwestern gehören zu Riehen wie die Dorfkirche oder das Wettsteinhaus. Im Gespräch geben zwei Schwestern Auskunft über das Verhältnis der Kommunität zum Reichtum.


Schwester Esther Herren schaut mit wachen, lustigen Augen unter dem Schleier ihrer Tracht hervor. «Spiritueller Reichtum, geistlich reich sein, das hat mit Beziehung zu tun, das wächst aus der Beziehung zu Gott. Dieses Glück, ein Gegenüber von Gott zu sein und damit an allem teilhaben zu dürfen, was Gott ist. Nicht im Sinn von besitzen, sondern von beteiligt sein – das ist für mich das Lebensglück. Dagegen steht materieller Reichtum, das Haben. Das ist vergänglich, kann kaputtgehen oder wertlos werden. Mit Gott verbunden sein, an ihm teilhaben ist auch über dieses Leben hinaus gültig und bestehend.» Es ist die Frage von Haben oder Sein, so bringt Schwester Brigitte Arnold die Grundfrage nach dem Verhältnis von materiellem und spirituellem Reichtum auf den Punkt: Haben, das ist das Festhalten an äusseren Werten, Sein ist das, was mich ausmacht. Geistlicher Reichtum ist das Leben in Fülle – wie ein überfliessender Becher, der zeigt: Ich habe genug. Wenn ich mich nach materiellem Reichtum sehne, brauche ich immer noch mehr. Geistlicher Reichtum bedeutet auch, im Frieden zu sein: «Meine Seele ist still wie das Kind an der Brust seiner Mutter.»


Schwester Esther und Schwester Brigitte sind Diakonissen. Sie haben sich beim Eintritt in die Kommunität den sogenannten Evangelischen Räten verpflichtet, der Ehelosigkeit, der Anspruchslosigkeit und dem mündigen Gehorsam. Schwester Brigitte ist froh, dass in ihrem Versprechen nicht Armut, sondern Anspruchslosigkeit steht – das ist ehrlicher und spricht die Eigenverantwortung an. Alle drei Räte haben mit Verzicht zu tun. Verzicht und Freiheit gehören zusammen, jede Entscheidung für etwas hat mit Verzicht zu tun. «Wenn man heiratet, dann verzichtet man ja auch auf die Möglichkeit, tausend andere Frauen zu heiraten», erinnert Schwester Brigitte.


Geistlicher Reichtum ist ein Freiwerden von äusseren Dingen


Sind die Riehener Diakonissen reich? Woran sind sie reich? Wie stehen Menschen, die sich aktiv für ein Leben in Anspruchslosigkeit entschieden haben, dem Reichtum gegenüber? Wie lässt sich Anspruchslosigkeit in einer Welt des Konsums und Überflusses überhaupt leben? 


Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, treffe ich Schwester Brigitte Arnold, die seit acht Jahren Teil der Kommunität ist, und Schwester Esther Herren, die seit 40 Jahren in der Gemeinschaft lebt. Beide sind Mitglieder im Schwesternrat und haben Prozesse der Veränderung, zum Beispiel die Veränderung des Gemeindespitals zum Geistlich-diakonischen Zentrum, aktiv mitgetragen. Wir sitzen in einem der hellen Räume des Zentrums am Spitalweg. Da, wo einst operiert und gepflegt wurde, ist nun Raum für Austausch und Gespräche. Die Kommunität Diakonissenhaus Riehen hat sich immer wieder gewandelt und neu orientiert. Zählte das Diakonissenhaus 1952 an seinem 100-Jahr-Jubiläum 131 Diakonissen in Riehen und 403 Schwestern, die über die ganze Schweiz verstreut ihren Dienst taten1, gehören heute 74 Frauen der Gemeinschaft an.2 Sah man einst den Schwerpunkt im Dienst an Kranken und Schwachen, so richtet sich die Kommunität heute – nebst der Seelsorge für und der Begleitung von betagten Mitschwestern sowie sozialer Arbeit für Kinder und Jugendliche – vermehrt der Aufgabe zu, Orte der Stille, des Rückzugs und der Besinnung zu schaffen.


Gerade in der Stille und Reflexion liegt eine der Quellen des geistlichen Reichtums, wie sich im Austausch mit den Schwestern bald zeigt. Auf meine Frage, wie der Ausspruch zu verstehen sei: «Denn eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt» (Lukas 18,25), erläutert Schwester Brigitte, die ausgebildete Theologin ist, die Geschichte in ihrem Zusammenhang: «Da kommt ein junger Mann, der alles hat, zu Jesus und fragt ihn: ‹Was muss ich tun, um vollkommen zu sein und ewiges Leben zu haben.› Da sagt Jesus: ‹Halte die Gebote.› Der Jüngling sagt: ‹Das habe ich alles gemacht!› Da sagt Jesus: ‹Eins fehlt dir noch. Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen.› Da wird der junge Mann traurig und geht davon. Und in diesem Moment sagt Jesus: ‹Wie schwer kommt ein Reicher ins Himmelreich.› – Nun könnte man meinen, Jesus verurteile den Reichtum. Darum geht es aber nicht. Vielmehr ist dieser junge Mensch gefangen und gebunden an all das, was er besitzt. Jesus ermutigt ihn dazu, sich festzumachen ganz in Gott – dann ist alles andere nicht mehr wichtig. Und dazu war er nicht bereit. Beim materiellen Reichtum ist immer die Gefahr da, dass man seine Sicherheit in diesem sucht.» Schwester Brigitte hält inne und legt dann nach: «Und das ist die Herausforderung: Woran häng’ ich mein Herz, woran mach’ ich mich fest?»


Dieses Habenwollen steckt tief im Menschen


Reichtum, das bedeutet Freiheit und Verantwortung. Freiheit und Verantwortung sind Worte, die im Gespräch immer wieder fallen. Schwester Esther Herren und Schwester Brigitte Arnold sind sich einig: Geistlicher Reichtum ist ein Freiwerden, ein Unabhängigwerden von äusseren Dingen. Diese Unabhängigkeit ist etwas, das sich über die Jahre vermehrt. Schwester Brigitte betont: «Die Diakonissen sind nicht frei von Wünschen und Begehren. Sie üben sich aber darin, sich von diesen materiellen Wünschen zu befreien.» Ganz drastisch erlebte Schwester Brigitte das, als sie sich entschied, dem Ruf in eine Kommunität zu folgen. Damals war sie Mitte Vierzig und bewohnte als Pfarrerin einer Gemeinde allein ein ganzes Pfarrhaus. Dieses war voll von Dingen. Schwester Brigitte leerte das Haus Zimmer für Zimmer und löste so nach und nach ihren ganzen materiellen Besitz auf. Noch heute kann sie sich sehr gut daran erinnern, wie sie sich schrittweise befreit fühlte. Als sie zum Schluss im leeren Wohnzimmer sass, wurde ihr bewusst, wie belastend die vielen materiellen Besitztümer für sie gewesen waren. Noch heute begegnet sie bei Besuchen ihren ehemaligen Einrichtungsgegenständen in Wohnungen von Verwandten oder Bekannten – und fühlt sich immer wieder erleichtert.


Dennoch gibt es Besitz, an dem eine Diakonisse hängen kann. So war die Vorstellung für Schwester Brigitte beim Eintritt in die Kommunität schwierig, ihre Gitarre in Zukunft mit anderen zu teilen. Heute hat sie ausser der Gitarre noch eine Harfe und freut sich darüber, dass sie die Instrumente und ihr Spiel mit so vielen teilen kann. «Das ist doch viel besser, als wenn ich allein für mich im stillen Kämmerlein spielen würde.» Auch Schwester Esther hat Dinge, die ihr sehr lieb sind. Als erstes nennt sie die Kapelle, diesen Ort möchte sie nicht verlieren oder aufgeben; vielleicht auch, weil sie einer Aufgabe ausserhalb der Kommunität nachgeht und den grössten Teil der Woche im ‹Münsterhüsli› wohnt, einer Wohngemeinschaft und einem Gebetsort am Münsterplatz in Basel. Irgendwie gehört zu diesem mobilen Leben von Schwester Esther auch ihr Fahrrad mit dem grossen Korb. Damit ist sie schnell überall, wo man sie braucht. Auf dieses möchte sie nicht gern verzichten. 


Das Besitzstreben erlischt auch nach vielen Jahren des gemeinschaftlichen Lebens nicht, sagt Schwester Brigitte: «Dieses Habenwollen steckt tief im Menschen und ich muss immer neu prüfen: Brauche ich das wirklich?» Schwester Esther bestätigt, dass immer wieder Entscheidungen getroffen werden müssen. «Will ich diese Filzstifte wirklich teilen? Und wenn sie dann ausgetrocknet sind? Und wenn ich sie nicht gleich zur Hand habe?» Die Schwestern müssen sich selbst entscheiden, inwiefern sie sich von einem Gegenstand trennen können wollen. Letztlich, da sind sie sich einig, wollen sie sich immer wieder für die Freiheit entscheiden, das heisst für die Anspruchslosigkeit. Sie wissen ja, wen sie fragen müssen, wenn sie einen grossen Rucksack brauchen, wer eine grosse CD-Sammlung hat oder ein bestimmtes Buch, das sie gern lesen würden. Klar ist, dass alles Teure über die Kommunität angeschafft wird. Die Schwestern zählen auf: «Wir haben vier Autos – oder drei?» Sie können es nicht so genau sagen, Hauptsache, frau kann eines reservieren, wenn es notwendig ist. Ein Handy? Einige haben eines, andere nicht. Schwester Esther leiht sich eines aus, wenn sie an einen Ort reist, der sehr abgelegen ist. Und natürlich braucht keine der Schwestern so etwas anzuschaffen wie ein Bett oder Betttücher, wie Pfannen oder Geschirr, wie Lampen oder Sofas. Für das tägliche Leben ist gesorgt. Das klingt eigentlich recht verlockend. Dennoch sei es nicht so leicht, in diese Freiheit der Anspruchslosigkeit hineinzuwachsen, betont Schwester Esther: «Es ist wie beim Fasten. Das ist zu Beginn auch schwer, erst mit der Zeit fällt einem das Verzichten immer leichter und führt zu Freiheit und zu einer grossen Wachheit.»


Die Kommunität – ein Gegenkonzept?


Die Kommunität ist ein in unserem Alltag befremdlich wirkendes Konzept, das unabhängig davon, was jemand arbeitet und leistet, einfach jedem und jeder gleich viel gibt. Die Diakonissen orientieren sich in ihrem gemeinschaftlichen Leben am urchristlich-apostolischen Gemeindemodell, das auf vier Säulen aufbaut: der Lebensgemeinschaft, der Glaubensgemeinschaft, der Dienstgemeinschaft und der Zeugnisgemeinschaft. Ich frage die Schwestern, ob die Kommunität eine Alternative sein kann zum Lebensmodell der heutigen konsumorientierten Gesellschaft, die nach den Prinzipien der Gewinnmaximierung und der Leistungssteigerung funktioniert. Natürlich gibt es bereits Gegenkulturen, zum Beispiel Carsharing oder Wohngemeinschaften, holt Schwester Brigitte Arnold aus. «Aber der Ansatz, warum ich Schwester bin, das hat nicht mit Wirtschaftlichem zu tun, das ist etwas anderes, denn es ist der Ruf Gottes.» Schwester Esther Herren relativiert: «Natürlich ist es eine Gegenkultur, die wir leben: Nicht den individuellen Besitz in den Mittelpunkt zu stellen, sondern das Gemeinschaftliche und das Teilen. Nicht auf den Verdienst zu schauen, sondern dass man miteinander leben und etwas nach aussen geben kann. Das ist schon ein Gegenkonzept.»


Ich verstehe. Am Anfang steht nicht das wirtschaftliche Interesse, dass dereinst für mich gesorgt sein wird, egal was ich tue. Am Anfang steht die Entscheidung, in einer Gemeinschaft zu leben und sich ganz Gott zuzuwenden. Laut einer Studie führt materieller Wohlstand zu längerem und besserem Leben. Die älteste Schwester in der Kommunität wird demnächst 104 Jahre alt, viele sind über 90-jährig. Die Schwestern unterliegen keinen existenziellen Zwängen – Furcht vor Arbeitsverlust, Sorgen um Wohnraum, Kleider oder Nahrung sind hier schlicht nicht vorhanden. Dennoch gibt es grosse Verzichtsmomente. So erwähnen sowohl Schwester Esther als auch Schwester Brigitte, dass ihnen das Aufgeben ihrer Autonomie und das Sich-Einfügen in die Gemeinschaft zu Beginn schwer fielen. Auch wenn das Modell der Kommunität radikal von marktwirtschaftlichen Modellen abweicht und die Menschen dadurch zum Nachdenken über die eigenen Prinzipien anregen kann, steht für die Schwestern nicht der wirtschaftliche Aspekt im Zentrum. Dies zeigt sich beim Gespräch über die Begriffe ‹dienen› und ‹verdienen›.


Vom Dienen und Verdienen


Im landläufigen Sinne ist ‹Reichtum› gekoppelt an die Vorstellung, dass irgendjemand einmal ein Vermögen ‹verdient› hat und dieses deshalb auch besitzt. ‹Dienen› hingegen ist eher negativ aufgeladen als ein Sich-Unterordnen innerhalb eines hierarchischen Systems. In der Kommunität ist der Begriff des Dienens hingegen weitaus positiver besetzt als derjenige des Verdienens. Dies hat, wie mir die Schwestern erklären, mit der Nachfolge Jesu zu tun: Das Dienen ist im Verständnis der Kommunität nicht eine Form von Unterwürfigkeit, es ist eine Form von Freiheit. Letztlich geht es um die Umkehrung des traditionellen Verständnisses von Herrschen und Dienen, wie Jesus es formuliert und gelebt hat. «Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene», zitieren die Schwestern die Bibel. So wie der Sohn Gottes seinen Jüngern, die ihm nachfolgen, die Füsse wäscht, so wollen auch die Schwestern ihren Dienst an den Nächsten verstehen: «Aus der Beziehung zu Gott wächst auch das gegenseitige Dienen oder das Einander-Dienen. Das Dienen geschieht, wie auch das Schenken, aus der Freiheit heraus.»


Das Wort ‹Verdienen› ist in der Kommunität weniger zentral. «Verdienen ist auf sich bezogen, fordernd», umschreibt Schwester Esther ihr Verständnis. Der Begriff ‹Verdienen› hat eine ganz weltliche Bedeutung: Die Schwestern erhalten für extern übernommene Aufgaben einen Lohn, dieser geht jedoch direkt an die Kommunität. Die Schwestern verstehen ihre Arbeit ausdrücklich nicht als das Verdienst einer Leistung. «Lohn zu erhalten ist nicht das Ziel und Liebe lässt sich schon gar nicht verdienen», erläutern die Schwestern diese Haltung.


Die säkulare Bedeutung des Begriffs ‹Verdienen› weist in eine Richtung des Wortes ‹Reichtum›, die im Gespräch wenig Platz findet. Das rechnerische Soll und Haben, die finanzielle Abwicklung von Geschäften, die in der Stiftung Kommunität Diakonissenhaus Riehen selbstverständlich stattfinden müssen, werden nicht im Zusammenhang mit Reichtum betrachtet, sondern gehören allenfalls zum verantwortungsvollen Wirtschaften. Der Umgang mit den Einnahmen, die der Kommunität durch übernommene Ämter und Dienstleistungen, über Liegenschaften oder durch Legate zukommen, ist Sache der leitenden Gremien. Die Hausleitung, der Stiftungsrat und der Schwesternrat sind bei der Ausrichtung und den Entscheidungen, wie und wofür die Mittel verwendet werden, wichtige Organe. Das Team des Geistlich-diakonischen Zentrums, dem auch Schwester Brigitte angehört, bespricht mit der Leitung der Kommunität etwa die Preisgestaltung für Übernachtung und Kursgebühren. Auch bei der Planung von Wohnungen im Spitaltrakt Schützengasse, der bald umgebaut wird, sind genaue Kostenrechnungen anzustellen. Hauptmotivationsgrund für die unternommenen Schritte ist auch da nicht der finanzielle Aspekt, wie aus dem Rückblick auf die wirtschaftliche Auslastung des Geistlich-diakonischen Zentrums im Jahr 2015 deutlich wird: «Die Wochenenden sind zwar bis Ende 2015 schon fast alle gut bis sehr gut belegt, an den Wochentagen hätten wir gerne ‹mehr Betrieb›. Einig sind wir uns alle, dass die Stille über allen anderen (auch finanziellen) Aspekten steht und unser wichtigstes Gut bleiben soll.»3 Die Inhalte überwiegen die wirtschaftliche Ausschöpfung. So ist denn auch in den Statuten zu lesen: «Das Vermögen der Stiftung wird durch die Arbeits- oder Ersatzeinkünfte der Schwesternschaft, freiwillige Beiträge und andere Zuwendungen geäufnet. Es dient der Erfüllung des Stiftungszwecks und darf hierzu angegriffen werden.»4 Zweck der Stiftung ist es, die Voraussetzungen zu schaffen, um die Schwestern der Kommunität Diakonissenhaus Riehen im Diakonissendienst auszubilden und ihnen die Erfüllung dieser Aufgabe als Lebens-, Glaubens- und Dienstgemeinschaft zu ermöglichen.5


So hat das Geistlich-diakonische Zentrum zwar in der Gästearbeit mit Einnahmen zu tun. Die Zimmer oder das Essen werden natürlich nicht verschenkt, erläutert Schwester Brigitte. «Es geht um ein Abwägen zwischen Wirtschaftlichkeit und moderaten, bezahlbaren Preisen für unsere Gäste.» Aber es ist klar, dass der Reichtum der Kommunität nicht im Finanziellen, sondern im Spirituellen und in der Gemeinschaft gesehen wird. «Was da an Begabungen und Vielfalt vorhanden ist, die Kreativen, die mit dem grünen Daumen, dass wir uns da ergänzen und Treue und Verlässlichkeit leben», das empfinden die Schwestern als Reichtum, als ein Geschenk.


Der Reichtum der Schwestern


Während wir über Reichtum und Gaben, über Teilen und Schenken, über Besitz und Verzicht sprechen, taucht ein Bereich immer wieder auf, der für mich, die ich ausserhalb der Kommunität lebe, erstaunlich ist – für die Schwestern aber absolut zentral. Das Gebet wird als Ort erwähnt, an dem der geistliche Reichtum seine Quelle findet. 


Die drei gemeinsamen Gebetszeiten, das Morgenlob, das Mittagslob und das Abendlob, die das Leben der Schwestern strukturieren, sind der Herzschlag der Kommunität. «Unsere Gebetszeiten sind ein Reichtum, den wir leben dürfen. Manchmal sehne ich mich danach, dass wir diesen mit mehr Leuten teilen dürfen», sagt Schwester Esther Herren. Die Gebetszeiten sind öffentlich und es gibt eine kleine Zahl von Menschen in der Nachbarschaft der Kommunität, die recht regelmässig an den Gebetszeiten teilnehmen. Zudem gibt es seit der Eröffnung des Geistlich-diakonischen Zentrums am Freitagnachmittag um 17 Uhr auch ein Vespergebet, das ganz bewusst mit dem Blick nach aussen gestaltet worden ist und mehr Menschen die Teilnahme ermöglicht. Dies ist, so die Schwestern, ein Beitrag für Riehen. Denn das Beten ist gewissermassen ihr Kerngeschäft. So übernehmen sie oft auch ganz konkrete Gebetsanliegen, denn viele Menschen wissen: Da kann ich meine Wünsche und meine Nöte deponieren.


Wie reich sind die Schwestern nun und worin besteht ihr Reichtum – frage ich mich auf dem Weg nach Hause, nachdem wir im ‹Café Spittelgarte› mit Blick auf den grossen alten Park noch etwas verweilt sind und geplaudert haben. Zunächst steigen die Bilder der satten Wiese unter der grossen Eiche vor dem Mutterhaus auf, der Terrasse im Sonnenlicht, der freundlichen Praktikantinnen, die uns im Café bedienen. Die Zeit und Ruhe, die die Schwestern ausstrahlen, wenn sie beim Gespräch sind. Und ich komme zum Schluss: Es ist der Zugang zu den wertvollen Elementen Raum und Zeit, den die Schwestern nach radikal anderen Gesichtspunkten als den heute üblichen nutzen.


So entschied sich die Schwesternschaft dagegen, das Haus Moosrain zu einer Altersresidenz umzubauen. «Das passte nicht so recht zu uns, auch wenn es wirtschaftlich sicher interessant gewesen wäre», begründet Schwester Esther. Sie entschieden sich dafür, den Verein ‹Offene Türe› das Haus Moosrain nutzen zu lassen, und freuen sich heute, das Haus jemandem zum gemeinschaftlichen Wohnen überlassen zu haben, der auf der Basis des Glaubens etwas Neues entstehen lässt. Genauso ging die Schwesternschaft mit dem Geistlich-diakonischen Zentrum vor. Die Tatsache, dass die Stiftung über grosse Räume im Zentrum des Dorfes verfügt, bedeutet nicht, diese möglichst gewinnbringend zu vergeben, sondern sich neu zu überlegen: «Was wollen wir eigentlich, was will Gott für uns?» Das Resultat dieser Reflexionen war schliesslich die Entscheidung, «ein Spital zu sein im Sinne der Herberge, nicht für Menschen, die am Leib krank sind, sondern im Sinne von Menschen, die Orientierung und Stille suchen, die Erholung brauchen und Kraft schöpfen wollen. Ein Krankenhaus leiten, das können andere besser, aber was wir hier tun, das hat mit unserem ursprünglichen geistlichen Auftrag zu tun», betont Schwester Brigitte. «So wie früher das Spital im Mittelpunkt des Ortes stand, ist heute unser Geistlich-diakonisches Zentrum ein Ort für Begegnungen im Café oder im Laden – und lädt auch ein zu Stille und Gebet. Das ist ein Stück Reichtum, das wir als Gemeinschaft der Gemeinde zurückgeben.»


1 Doris Kellerhals / Lukrezia Seiler / Christine Stuber: Zeichen der Hoffnung. Schwesterngemeinschaft unterwegs: 150 Jahre Diakonissenhaus Riehen, Basel 2002, S. 217.


2 Vgl. www.diakonissen-riehen.ch, Zugriff: 27.06.17.


3 Vgl. Kommunität Diakonissenhaus Riehen: 163. Jahresbericht 2015, S. 44, www.diakonissen-riehen.ch/files/KDR_JB2015.pdf, Zugriff: 27.06.17.


4 Ebd. 


5 Ebd. 


Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2017

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