Musik mitten im Dorf

Dominik Heitz

40 Jahre ist es her, dass die Musikschule Riehen ins Leben gerufen wurde. Seither hat sich das Modell der Partnerschaft mit der Basler Musik-Akademie bestens bewährt und wird deshalb von keiner Seite in Frage gestellt.

Alles war sorgfältig geplant: offizieller Auftakt im April, Liederfest mit Familienfest im Juni und ‹Son & Lumière› im September. Doch die Corona-Pandemie machte der 40 Jahre alten Musikschule Riehen und ihrem Jubiläumsprogramm einen Strich durch die Rechnung. So musste denn die von der Gemeinde finanziell getragene Institution ihren Geburtstag in aller Stille feiern. Doch das Fest soll nachgeholt werden: im kommenden Jahr. Über 50 Jahre ist es her, dass in Riehen die Idee einer gemeindeeigenen Musikschule zur Sprache kam. Im Zuge einer allgemeinen Musikschulbewegung in der deutschen Schweiz, die zur Gründung von Musikschulen in nahezu jeder grösseren Gemeinde geführt hatte, gelangte 1969 ein Vorstoss an den weiteren Riehener Gemeinderat, der eine Musikschule als Filiale der Musik-Akademie Basel vorschlug.

SKEPSIS WEICHT ÜBERZEUGUNG
Nicht alle waren mit dieser Idee einverstanden. Vorwiegend bürgerliche Kreise standen dem Modell skeptisch gegenüber; sie wünschten sich eine autonome Musikschule. Doch das Konzept einer an die Musik-Akademie Basel angeschlossenen Filiale fand schliesslich im Gemeindeparlament eine Mehrheit. Als idealen Standort für die künftige Musikschule erkor der Gemeinderat 1976 das Elbs-Birr’sche Landhaus am Rand des Sarasinparks, das damals erst seit Kurzem im Besitz der Gemeinde war. 1979 liess man das Haus renovieren, von störenden Anbauten befreien und im Innern aufs Schönste restaurieren. Am 21. April 1980 war es dann soweit: Die Musikschule Riehen mit ihrem barocken Hauptgebäude, das zahlreiche Übungszimmer und einen Vortragssaal aufweist, sowie dem Gartenpavillon konnte eröffnet werden. Unter der Leitung von Frank Nagel nahm die Schule mit 17 Lehrerinnen und Lehrern sowie 326 Schülerinnen und Schülern ihren Betrieb auf. Schon wenige Monate später ging ein Musikschulfest über die Bühne, ein Kinderchor wurde gegründet und erste Aufführungen in den Riehener Altersheimen und im Gemeindespital fanden statt.

IM DORF PRÄSENT
Die Musikschule Riehen – mit zehn Fächern gestartet – entwickelte sich stetig: Im zweiten Jahr wurden bereits in sämtlichen Fächern Ensemble-Angebote für Kinder und Erwachsene sowie ein Blasorchester aufgebaut. Zusätzlich zum Kinderchor entstand ein Jugendchor. In den darauf folgenden Jahren entstanden im Bereich der Erwachsenenbildung selbsttragende Angebote in den Fächern Blockflöte, Streicherschulung und Gitarre. Und innerhalb von zehn Jahren stieg die Schülerinnen- und Schülerzahl auf knapp 600, während die Zahl der Lehrpersonen um 10 auf 27 zunahm. Seit ihrem Bestehen ist die Musikschule vielfältig im Dorf präsent: bei Dorffesten und Ausstellungseröffnungen, bei Preisverleihungen und Jahrbuch-Präsentationen, aber auch mit Konzerten. Zu den besonderen Projekten zählt unter anderem die Aufführung von Paul Hindemiths Spiel ‹Wir bauen eine Stadt› oder zwei uraufgeführte Werke, die im Auftrag der Gemeinde Riehen für die Musikschule geschrieben wurden: ‹Drei kleine Stücke für Streicher› von Peter-Michael Riehm und die sieben Klavierstücke ‹Der Zaubergarten› von Rudolf Kelterborn – «der Musikschule Riehen und ihren Klavierlehrerinnen und -lehrern gewidmet » – und die beinahe schon zur Tradition gewordenen ‹Son & Lumière›-Projekte.

«MEINE VISION: EINE MUSISCHE TAGESSTRUKTUR»
INTERVIEW MIT CLAUDIA DE VRIES, LEITERIN DER MUSIKSCHULE RIEHEN

DOMINIK HEITZ: Im Jahr 2004 haben Sie von Frank Nagel die Leitung der Musikschule Riehen übernommen und ein Jahr später das 25-Jahr-Jubiläum der Schule feiern dürfen. Jetzt ist die Institution 40 Jahre alt. Wie hat sich die Schule in den letzten 15 Jahren entwickelt?
CLAUDIA DE VRIES: Sie hat sich leicht vergrössert; bei fast gleichbleibender Schülerzahl, die um 600 liegt, haben wir heute 31 statt 29 Lehrpersonen und die Lektionen sind in mehreren Schritten von 310 auf 346 pro Woche gestiegen. Die Nachfrage hat sich von den vorbereitenden musikalischen Gruppenangeboten deutlich zu den Instrumentalfächern verlagert. Im Zuge dieser gesellschaftlich bedingten Entwicklung wurden Kurzlektionen und instrumentale Vorkurse eingeführt, um der Nachfrage zu begegnen. Personell hat sich das Kollegium verjüngt. Inhaltlich hat sich ebenfalls einiges getan: Wir haben begonnen, intensiver mit dem Kulturbüro Riehen zusammenzuarbeiten. Dadurch sind wir vermehrt mit Grossprojekten wie ‹Son & Lumière› in der Öffentlichkeit präsent, was uns grössere Aufmerksamkeit schenkt und uns auch erlaubt zu zeigen, was für eine Institution die Gemeinde Riehen finanziell unterstützt. Was natürlich auch dazu führt, dass Leute weiterhin mit Begeisterung zu uns kommen und dann bisweilen enttäuscht sind, wenn wir ihre Kinder bei bestimmten Instrumenten auf eine Warteliste setzen müssen.

Hat auch die Instrumenten-Vielfalt zugenommen?
Ja, heute sind es 14 statt 10 Instrumentalangebote. Das Fagott ist dazugekommen, die Viola, die E-Gitarre und das Jazzklavier. Im Ensemble-Angebot führen wir heute auch Band-Workshops: die Band ‹Rock & Co.› und die ‹Junior Band›; das läuft sehr gut. Bei der Eröffnung der Musikschule hatte man das Instrumenten-Angebot aufgrund einer Umfrage bestimmt. Damals gab es eine starke Vereinskultur in Riehen; aus diesem Grund beschloss man, gewisse Instrumente an der Musikschule auszuklammern wie zum Beispiel Posaune, Saxofon und Waldhorn. Diese Instrumente unterrichten wir bis heute nicht; das überlassen wir den Musikvereinen. Für andere Instrumente, die wir nicht im Angebot haben, wie Harfe, Orgel oder Kontrabass, können Kinder und Jugendliche aus Riehen an die Musik-Akademie in Basel gehen. Das Haus Kleinbasel liegt am Wettsteinplatz mit Busverbindung nach Riehen. Das beliebteste Instrument ist immer noch das Klavier; es macht knapp ein Drittel des gesamten Lektionen-Volumens aus.

Haben Sie in Ihrer Zeit Veränderungen in der Beliebtheit gewisser Instrumente festgestellt?
Ja, aber das verläuft immer wellenartig. Einmal ist es die Querflöte, dann die Geige oder die Blockflöte.

Womit hat das zu tun?
Mit den gesellschaftlich bedingten Wahrnehmungen und Wertungen der Instrumente und mit dem natürlichen Wandel der Generationen. Als die Musikschule Riehen gegründet wurde, stand die Blockflöte hoch im Kurs – nicht nur, weil die Schola Cantorum Basiliensis für die Blockflöte, deren Praxis sowohl die Musik des Spätmittelalters bis zum Hochbarock als auch die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts erschliesst, einen internationalen Ruf geniesst. Damals hiess es bei der älteren Generation noch: Zuerst musst du zwei Jahre Blockflöte spielen, dann darfst du ein anderes Instrument lernen. Das hat sich geändert: Jetzt haben wir Eltern, die zwar einst bei uns unter eben jenen Bedingungen in den Musikunterricht gegangen sind, heute aber ganz anders denken. Sie finden zum Beispiel: Unser Kind fängt gleich mit Fagott an. In den 1980er-Jahren gab es einen länger anhaltenden Querflöten-Boom, was vielleicht mit der Beliebtheit des Instruments dank des bekannten Flötisten James Galway zu tun gehabt haben mag. Dann ist es wieder die Geige, mit der zum Beispiel der Violinist David Garrett durch seine Interpretation von Popmusik ein breiteres Publikum erreichte. So kommt es immer wieder wellenartig zu einer Beliebtheit von gewissen Instrumenten. In der Nachfrage konstant geblieben sind eigentlich nur das Klavier, die Gitarre und das Schlagzeug.

Das Schlagzeug ist offensichtlich sehr beliebt, sonst hätte Edith Habraken in Riehen nicht ihre eigene Schule eröffnen können.
Absolut. Als die Musikschule Riehen seit den 1990er- Jahren nicht mehr namhaft wachsen konnte, kam es zur Gründung zweier weiterer Schulen: der Schlagzeug- und Marimbaschule Edith Habraken (SMEH) und der Musikschule ‹ton in ton›. Beide werden inzwischen ebenfalls von der Gemeinde unterstützt.

Wie eng ist der Kontakt zwischen diesen drei Schulen?
Wir haben schon gemeinsame Projekte durchgeführt – gerade über das Kulturbüro Riehen, das unter der Leitung von Wolfgang Graf seinen Fokus damals auf die Vernetzung der Musikschulen in der Gemeinde legte. Die Gemeinde ist jetzt daran – abgestützt auf Artikel 67a der Bundesverfassung –, ein Konzept zur Förderung des ausserschulischen Musikunterrichts zu entwickeln; darin geht es um die Qualitätssicherung und die Vernetzung der verschiedenen Anbieter musikalischer Bildung in der Gemeinde. Ziel ist es, dass jedes Kind in der Gemeinde niederschwelligen Zugang zum Musikunterricht haben kann. Auch sollen für die Begabtenförderung zusätzliche Möglichkeiten geschaffen werden. Die Begabtenförderung wird in Riehen bisher nur von der Musikschule Riehen im Rahmen des Talentförderprogramms der Musik-Akademie abgedeckt.

Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen der Musikschule Basel und der Musikschule Riehen?
Wir sind faktisch eine einzige grosse Musikschule und stehen dadurch sehr im Austausch miteinander. Einige unserer fortgeschrittenen Schülerinnen und Schüler spielen mit in den Blasorchestern wie zum Beispiel ‹Windspiel›, in ‹First Symphony› oder vereinzelt auch bei den ‹Jungen Sinfonikern› der Musikschule Basel, sie singen in den weiterführenden Jugendchören und besuchen Blockflöten- Ensembles an der Schola Cantorum Basiliensis wie auch Band-Workshops am Jazzcampus. Das aktuelle ‹Son & Lumière›-Projekt zum 40-Jahr-Jubiläum der Musikschule Riehen ist ein übergreifendes Projekt: In der für diesen besonderen Anlass an den Komponisten Hansjürgen Wäldele in Auftrag gegebenen Komposition wirken Schülerinnen und Schüler der Musikschule Riehen und Basel ebenso mit wie Schülerinnen und Schüler der Musikschule Jazz am Jazzcampus, des ‹Studio für Musik der Kulturen› der Musikschule Basel und der Musikschule der Schola Cantorum Basiliensis. Abgesehen davon bin ich Mitglied des Leitungsteams der Musik-Akademie Basel und alle Lehrpersonen der Musikschule Riehen sind in die Fachgruppen der Musik-Akademie eingebunden.

Heisst das, dass Lehrpersonen, die in Riehen arbeiten, auch in Basel unterrichten?
Einige Lehrpersonen unterrichten an beiden Schulen und haben damit auch zwei Arbeitsverträge der Musik- Akademie: einen mit der Musikschule Riehen und einen mit der Musikschule Basel. Denn es sind zwei verschiedene Trägerschaften. In Basel ist die Musik-Akademie vom Kanton subventioniert und in Riehen subventioniert die Gemeinde die Musikschule Riehen. Heute unterrichtet etwas mehr als die Hälfte der Lehrpersonen ausschliesslich an der Musikschule Riehen. Die andere Hälfte unterrichtet gleichzeitig auch an der Musikschule Basel.

Haben Sie Ideen für die Zukunft?
Es hat sich in den letzten zehn Jahren gezeigt, dass aufgrund der Tatsache, dass heute mehr Kinder die Tagesstrukturen an den Schulen besuchen, die Organisation des Musikunterrichts und des täglichen Übens für die Familien schwieriger geworden ist. Meine Vision ist daher eine der Musikschule angegliederte, musische Tagesstruktur. Musikalisch interessierte Kinder könnten in einem unmittelbar bei der Musikschule stehenden Gebäude ihre Hausaufgaben machen, üben, basteln, im Park spielen und mehrere musikalische Angebote besuchen – zum Beispiel ein Instrumentalfach, Ensemble-Unterricht, Chorsingen, Kindertanz oder Ohrenfitness. Und das an zwei oder drei Tagen pro Woche. Und was ich auch ganz toll fände, wäre, in Riehen ein Familienorchester aufzubauen: Eltern, Kinder und Jugendliche, die in einem grossen Orchester zusammenspielen. Ein solches Projekt gibt es bereits in Hamburg. Ich könnte mir vorstellen, dass Riehen für ein ähnliches, etwas kleiner dimensioniertes Projekt ein ideales Pflaster wäre.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2020

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